05.08.2019

EuGH-Urteil zur HOAI - Hinweise

Der Europäische Gerichtshof hat in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland am 04. Juli 2019 entschieden, dass die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze der HOAI gegen Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123/EG (Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt) verstoßen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Europäische Gerichtshof hat in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland am 04. Juli 2019 entschieden, dass die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze der HOAI gegen Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123/EG (Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt) verstoßen.

Das Urteil hat zur Folge, dass ab sofort das Verbot der Unter- oder Überschreitung der Mindest- und Höchstsätze der HOAI für Grundleistungen nicht mehr anzuwenden ist. Die Entscheidung betrifft damit das „harte Preisrecht“ der HOAI und gilt nach zwei aktuellen Entscheidungen des Oberlandesgerichts Celle (Urteile vom 17.07.2019 – 14 U 188/18 und 23. Juli 2019 – 14 U 182/18, nicht rechtskräftig) auch in laufenden Rechtsstreitigkeiten. Die übrigen Regelungen der HOAI wurden vom EuGH nicht beanstandet und sind weiterhin anzuwenden. Sie können daher auch in der Zukunft, etwa für die Beschreibung des vertraglichen Leistungsgegenstandes, herangezogen werden.

Für die bauliche Praxis bedeutet dies, dass - neben dem Leistungswettbewerb - dem Preiswettbewerb und der Angebotskalkulation eine stärkere Bedeutung zukommt. Die Vergabestellen sollten dies bei der Preisbewertung für das wirtschaftlichste Angebot berücksichtigen. Da der Rahmen von Mindest- und Höchsthonoraren nicht mehr anzuwenden ist, kann die Vergabestelle individuelle Preise abfragen und bieterseitig angeboten bekommen. Damit steigt die mögliche Bandbreite angebotener Preise.

Für bestehende und künftige Verträge sollte berücksichtigt werden:

  • Für bestehende Verträge über Architekten- und Ingenieurleistungen dürfte das Urteil grundsätzlich keine Auswirkungen haben, sofern die Parteien eine vertragliche Vergütungsvereinbarung getroffen und nicht für die Bestimmung des Preises ausschließlich auf die HOAI Bezug genommen haben.

  • Bei begonnenen Vergabeverfahren haben die Vergabestellen zu prüfen, ob die Mindest- und Höchsthonorarsätze nach der HOAI in den Vergabeunterlagen verbindlich vorgegeben wurden. Dies gilt es im Einzelfall im laufenden Verfahren anzupassen. Angebote dürfen mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs nicht allein wegen der Unter- oder Überschreitung der Mindest- und Höchsthonorarsätze für Architekten- und Ingenieurleistungen in einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Unbeschadet dessen sieht § 44 UVgO bzw. § 60 VgV eine Prüfung der Vergabestelle bei unangemessen niedrig erscheinenden Angebote vor. Bei überhöhten Preisen oder unwirtschaftlichen Angeboten wird auf § 48 UVgO bzw. § 63 VgV hingewiesen.

    Zukünftige Vergabeverfahren dürfen die Mindest- und Höchsthonorarsätze nach der HOAI nicht verbindlich vorgeben. Preisliche Abweichungen nach oben oder unten müssen gewährleistet werden. Dabei kann die HOAI zur Berechnung der Honorarsätze für Architekten- und Ingenieurleistungen eine Orientierung geben, sofern die Bieter individuell mit Auf- oder Abschlägen abweichen können. Von den Vergabestellen sind die vorgesehenen Vergabeunterlagen dahingehend zu prüfen und insbesondere die Standardformulare unter Umständen anzupassen. Des Weiteren kommt die Vorgabe von Festpreisen nach Maßgabe von § 43 UVgO bzw. 58 VgV in Betracht, sofern zur Bestimmung des wirtschaftlichsten Angebots ein inhaltlicher Wettbewerb nach qualitativen, umweltbezogenen oder sozialen Zuschlagskriterien möglich ist. Für die Anwendung flexiblerer Verfahrensarten, wie dem Verhandlungsverfahren oder dem wettbewerblichen Dialog, wird auf § 74 VgV hingewiesen. Dort sind inhaltliche Erläuterungen, Konkretisierungen und Verbesserungen bis zur Abgabe finaler Angebote grundsätzlich möglich. Für den Unterschwellenbereich sieht § 50 UVgO vor, dass Leistungen, die im Rahmen einer freiberuflichen Tätigkeit erbracht oder im Wettbewerb mit freiberuflich Tätigen angeboten werden, grundsätzlich im Wettbewerb zu vergeben sind. Im Übrigen gilt das gleiche, wie für laufende Vergabeverfahren.

Mit freundlichen Grüßen
Ihre KBSt-Vergabe